So, geschafft.
Ich bin in New York.

Den Flug hab ich halbwegs gut überstanden, abgesehen davon dass ich einmal kurz eine nett-sein-wollende, grausame-rote-Strumpfhosen-tragende, mitleidig grinsende Stewardess während einer Phase ziemlicher Turbulenzen anfuhr: Vorm Sterben hab ich Angst, vor was denn sonst?
Und meine Mutter, die währendes Fluges von Wien weg neben mir saß, verzeichnete heute morgen nur minimale Kratzspuren am linken Unterarm (Und das, obwohl der Pilot verdächtig betrunken klang).

Aber gut.
New York.
Es hat schon was, zum ersten Mal die Skyline von Manhatten zu sehen, die irgendwie auf einen zuzuraßen scheint. Und dann das Gewusel von Menschen, überall an jeder Straßenecke.
Viel haben wir ja noch nicht wirklich die Stadt erkunden können, muss ich dazu sagen. Den gestrigen Abend haben wir nämlich zunächst damit verbracht aus dem uns aus welchen Gründen auch immer zugeteilen Hotel Transylvania zu flüchten. Ich meine, die dunklen, kleinen Löcher, auch Zimmer genannt, hätten wir verkraftet. Immerhin ist ja die Lage genial. Auch die verrosteten Badezimmeramaturen wären okay gewesen, ebenso die eigenartigen braunroten Spritzer an der Schlafzimmerwand, das Ding, das anscheinend die Dusche sein sollte, oder der eigenartige Geruch im Stiegenhaus. All das wäre noch halbwegs zu verkraften gewesen.
Das Hauptproblem waren allerdings andere Hotelgäste, die leider dachten, sie wären im Zimmer meiner Eltern untergebracht und auch dafür funktionierende Keycards hatten. Oder der Typ, der bereits in dem Zimmer untergebracht war, in dem ich schlafen hätte sollen.
Aber gut.
Nach langem Streiten an der Rezeption, einem Telefonanruf und einer schönen Taxifahrt durch die noch weihnachtlich dekorierte Straßen, trafen wir schließlich in einem sehr sehr netten, sauberen, schönen Hotel in der 48. Straße ein (welches - oh joy! - auch noch Internetzugang in den Zimmern hat - übrigens bin ich zum ersten Mal für skype dankbar), gingen dann in die Ecke zu einem wunderbaren Italiener, der dazu auch noch Italienisch sprach (Hey, wie oft findet man das in Wien?) essen, und fielen eine Stunde später in unsere Betten.

So, und jetzt geht's wirklich los.
Etwas gejetlagged, sehr aufgeregt, und mit Kamera.

Arab Strap und Death Cab for Cutie spielen im Februar in Wien.
Und wo bin ich?
In Kärnten.
Mensch.

Am letzten Einkaufssamstag vor Weihnachten - bei Sturm und Schneefall - in die Mariahilferstraße zu gehen, um noch schnell ein paar Geschenke aufzutreiben, ist keine gute Idee.

Nein nein nein.

Meine neue Nachbarin ist jung - 18, vielleicht 19 Jahre alt.
Sie ist zierlich, hat blaue Augen und schwarze Dreadlocks, die sie zusammengebunden trägt. Ihren Namen kenne ich nicht.
Meine neue Nachbarin wohnt hier seit einem Monat, zusammen mit ihrem Freund.
Gesehen habe ich meine neue Nachbarin zum ersten Mal Mittwoch abends.

Sie kauert vorm Hauseingang. Eigentlich liegt sie eher am Boden, mit dem Kopf an der Tür gelehnt. Mit einer Hand versucht sie die das Schlüsselloch zu finden, doch ihr Arm tut nicht das, was sie anscheinend von ihm will.
Sie bemerkt mich erst, als ich mich zu ihr runterbücke. Sie sieht mich an, spricht, zumindest versucht sie es.
Ich will wegrennen, dann öffne ich die Tür.
Im hellen Stiegenhaus kann ich ihr Gesicht sehen, ihre blauen Lippen, und ihre graue Haut, überall diese graue Haut. Sogar ihre Hände sind grau, unter all dem Schmutz. Ich gehe hinter ihr her, rede auf sie ein. Die Antworten, die ich auf meine Fragen bekomme, verstehe ich nicht. Bloß einmal glaube ich dritter Stock zu hören. Ihre Beine geben immer wieder nach, sie schleppt sich einfach gerade aus weiter bis hin zur Kellerstiege.
Ich kann mit so etwas nicht umgehen. Ich schiebe sie in den Lift, wähle das Stockwerk.
Durch das schmale Fenster in der geschlossenen Aufzugstüre sehe ich, wie sie in die Knie geht. Dann ist sie weg.
Am Postkasten lasse ich mir Zeit, oben geht die Lifttür auf.
Ich nehme sonst immer den Lift.
3. Stock. Bitte sei nicht mehr da.
Ich will einfach weitergehen, dann blicke ich nach rechts.
Meine neue Nachbarin kniet dort vor ihrer Wohnung, mit verdrehten Beinen, den Kopf an der Tür.
Lacht sie?
Ich ziehe das Band, an dem ihr Schlüsselbund hängt, unter ihr hervor, sie spricht immer weiter, ich verstehe weiter nichts. Und will nichts verstehen. Nur weg hier. Soll ich jemanden anrufen? Soll ich jemanden anrufen? Soll ich die Rettung rufen? - Nein, nicht. Natürlich nicht. Soll ich jemanden anrufen? Kann ich irgendwas machen?
Ich packe sie an den Schultern, versuche, sie in ihre Wohnung zu lenken.
Sie steht, Gott sei Dank. Ich verabschiede mich, mach einen Schritt zurück.
Sie bleibt aufrecht, lehnt sich an den Türstock. Plötzlich sieht sie mich an, zum ersten Mal.
Sie streckt mir ihre Arme entgegen: Ich will dich umarmen bitte..., kommt es jetzt deutlich aus ihrem blauschwarzen Mund. Nein.
Nein.
Ich dreh mich um und renne weiter hinauf zu meiner Wohnung. Ich höre, wie sich ihre Haustür schließt.
Fünf Minuten später bin ich im Lokal im Erdgeschoß, treffe dort E. und erzähle ihm von dem Mädchen, von der grauen Haut, den blauen Lippen, den Knien. E. kennt sie bereits, er wohnt direkt neben ihr. Wir fahren wieder hinauf, klopfen an ihre Tür. Nichts. Dann höre ich sie, sie kommt in unsere Richtung. Ich atme aus. Sie macht die Tür auf, steht aufrecht da. Mir gehts gut. Mir gehts gut.
Wir gehen wieder.
E. hört sie immer weinen, meint er noch. Und ihr Freund-naja.....egal.

Gestern abend hab ich sie wieder gehört. Ich wollte gerade hinunter gehen, blieb stehen und horchte. Zum Öffnen der Türe brauchte sie eine Ewigkeit.
Im Lift roch es wieder nach kaltem Rauch und diesem Parfum.


Ich sitze hier auf meinem Bett,
in meiner warmen Wohnung und trinke
schwarzen Tee mit Milch und Zucker.
Meine neue Nachbarin macht
sich ein paar Meter unter mir
kaputt.





Image hosted by Photobucket.com

All diejenigen, die sich diesen schönen, lustigen, einfachen, rosaroten, it-leaves -you-with-that-warm-and-fuzzy-feeling Film noch nicht angesehen haben, mögen dies bitte noch tun.

me and you and everyone we know.

 

development